Rote Karte für die TI

von Hans – Willi Herrmann

2003 wurde vom Gesetzgeber die Einführung der Teleinformatik-Infrastruktur beschlossen.
Heute, 15 Jahre später kann man schon einmal als vorläufiges Fazit festhalten, dass das Ganze keine Erfolgsgeschichte ist.

Sich vielmehr nahtlos einreiht in die von der Politik zu verantwortenden disatrösen Fehlschläge des neuen Milleniums wie Autobahnmaut, Berliner Flughafen, Kostenexplosion Elbphilharmonie oder Stuttgart 21.

Vorläufig, weil bis dato die längst überfällige Einführung, von begrenzten Pilotprojekten abgesehen, nicht stattgefunden hat.

Das soll sich nun ändern.
Schnellstmöglich.

Bis Ende des Jahres, so die Vorgaben des Gesetzgebers, muss die TI im Gesundheitswesen etabliert sein.
Und dass, obwohl offensichtlich ist, daß weder das System noch die Art der Einführung selbst auch nur den grundlegensten Anforderungen an Praxistauglichkeit zum jetzigen Zeitpunkt genügen. Und die Juristen gerade mit einem analogen System Schiffbruch erlitten haben. Dessen propagierte reibungslose Praxiseinführung fundamental gescheitert ist.

Für mich ist, nicht allein wegen den bekannten Mißständen der  TI per se, sondern vielmehr insbesonders auf Grund der arroganten und zynischen Vorgehensweise der Entscheidungsträger im Zusammenhang mit der  Systemeinführung, der Punkt erreicht, an dem ich sage: Es tut mir leid, ich werde nicht länger diese Dinge weiter schweigend hinnehmen. Ich möchte diese Entwicklung nicht stumm und widerstandlos mittragen. Und vielen ärztlichen und zahnärztlichen Kollegen, die als Gesamtheit sicherlich eher zu den nicht renitenten Teilen unserer Gesellschaft gehören, geht es genauso.

Der Kollege Thomas Weber – vielen der WURZELSPITZE – Leser als Autor des wunderbaren Nachschlagewerks „Memorix Zahnmedizin“ bekannt – ist  im bayrischen  Krumbach in eigener Kassenzahnarztpraxis niedergelassen. Er bezeichnet sich selbst als „Landzahnarzt“, hat sich bewusst gegen eine Hochschulkarriere an der Uni Würzburg entschieden und ist seit mehr als 2 Jahrzehnten bemüht, allen Widrigkeiten der Provinz zum Trotz  die Fahne der Zahnerhaltung unter widrigen Rahmenbedingungen, die nunmal das Arbeiten in einer ländlichen Region mit sich bringt,  hochzuhalten.

Wenn dieser nun, ein ebenso eloquenter wie ruhiger und besonnener  Zeitgenosse, zusammen mit Kollegen seine Stimme erhebt und eine Postkartenaktion „Rote Karte für die TI“ ins Leben ruft, dann ist dies ein Fanal, ein Menetekel. Und die Politik täte gut daran, dieses in seiner Brisanz zu erkennen, um noch größeren Schaden, als den, der bereits entstanden ist, abzuwenden.

Ich unterstütze die Aktion.
Daher habe ich  nachfolgendes Schreiben verfasst, das im Rahmen meiner Tätigkeit als endodontischer Spezialist meinen Überweiserschreiben und Arztbriefen beigelegt wird. Wer möchte, darf den Text gerne kopieren und für eigene Arztbriefe/Überweiserbriefe verwenden.

Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

falls auch Sie der Meinung sind, dass

  • es sich bei der zur Inbetriebnahme anstehenden Teleinformatik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen gegenwärtig um ein unausgereiftes Produkt handelt, dass ohne Rücksicht auf die noch vorhandenen Schwächen im Markt schnellstmöglichst eingeführt werden soll
  • die von der Politik versprochene für die Praxis kostenneutrale Einführung sich schon jetzt als falsch erweist, weil die Praxis auf einem stattlichen Kostenanteil sitzenbleiben werden, das System zudem mit hohen kontinuierlichen Folgekosten behaftet ist.
  • eine zeitgerechte Einführung schon allein mangels zur Verfügung stehender Geräte und der für die termingerechte Einrichtung nicht vorhandenen, aber zwingend notwendigen Logistik und Manpower von Seiten der Hardware – und Softwareanbieter nicht zu realisieren ist.
  • die Nutzung der TI- Infrastruktur auch nach Ende der aufwandintensiven Einführungsphase dauerhaft mit einem zusätzlichen Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist, der zumindest für die Praxen durch Synergieeffekte nicht kompensiert und schon gar nicht – wie lauthals und mantraartig repetitierend von Seiten der Politik vorgetragen – überkompensiert werden wird.
  • die Einführung der TI- Infrastruktur keine  Verbesserung der EDV – Sicherheit bringen wird, vielmehr auf Grund der Zwangsanbindung der Praxis EDV- Systeme an das Internet sich kriminellen Energien unerlaubte Zugriffsmöglichskeiten  eröffnen, die bislang in vielen  Praxis nicht vorhanden bzw. intentionell verschlossen sind.

Dann nutzen Sie ihr im Grundgesetz in Paragraf 17 GG verbrieftes Recht, „sich einzeln oder in der Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und die Volksvertretung zu wenden“ und senden die diesem Schreiben beiliegende „rote Karte“

z.B. an den neuen „Gesundheitsminister“ Jens Georg Spahn

oder

Ihr(e) Bundestagsabgeordneten => den/die jeweiligen Namen einsetzen, die Adresse lautet: Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin

Jetzt nur noch das Tagesdatum, ihre Adresse und Unterschrift einfügen (zwingend notwendig, sonst landet die Karte gleich im Müll) eine 45 Cent Briefmarke aufkleben und absenden.

Und falls Sie noch weitere Karten brauchen oder sich über die Entwicklungen in der Sache zeitnah informieren wollen, besuchen Sie die Facebook-Seite https://www.facebook.com/Rote.Karte.TI/

Herzlichst

Ihr H.W. Herrmann

 

Es bleibt zu wünschen, dass die  roten Postkarten, die sich auf den Weg nach Berlin machen – versandt an die Entscheidungsträger des Bundestages, die Abgeordneten im Plenum gleichermaßen wie ihre prominenteren Pendants auf den Regierungsbänken –  nicht im Papierkorb landen. Und diese Aktion keine aneinandergereihten Worthülsen in Form eines belanglos-floskelhaften Textbaustein-Antwortbriefes produziert, vielmehr ein wie auch immer geartetes „Wir haben verstanden !“ daraus resultiert.

Wir werden sehen.

 

 

 

4 Gedanken zu „Rote Karte für die TI

  1. Danke für den Beitrag – wir schreiben und verteilen auch schon seit Beginn der Aktion – „rote Karten für die TI“

  2. Lieber Ha-Wi,
    heute sind mir die „Roten Karten“ ausgegangen. 18.555 sind bis jetzt verteilt, aber der Strom der Anfragen aus der gesamten Republik reisst nicht ab. Zahnärzte, Ärzte aller Fachrichtungen, Psychotherapeuten, Patienten und IT-ler sind unter den Kartenfans. Dieses gigantische Echo hätte ich niemals erwartet.

    Ab Mittwoch sind wieder „Rote Karten“ lieferbar und eine eigene „Patientenversion“ ist in Arbeit.

    Erste Reaktionen aus dem Gesundheitsausschuss zeigen, dass es durchaus Verständnis für die Sorgen der Zahnärzte seitens der Politik gibt. Die „Rote Karte“ ist wahrgenommen worden und hat bereits den Vorstand der KZBV erreicht. Es bleibt abzuwarten, ob die Menge der Karten auch weitere Abgeordnete beeindruckt. Oder sogar den neuen Gesundheitsminister. Vor allem, wenn der Kreis der Schreiber immer größer wird.

    Für Deinen Artikel nochmals ganz herzlichen Dank. Er hat einiges bewegt. Das zeigt die Häufigkeit, mit dem er auf den sozialen Netzwerken geteilt wird. Und natürlich die Zahl der Endodontologen, die Karten angefordert haben. Danke Euch allen!

    Grüße vom Lande,
    Thomas

  3. Pingback: Aktion “Rote Karte für die Telematik-Infrastruktur” | patientenrechte-datenschutz.de

  4. Auch wenn unsere Berufsaufsicht die Aktion als nicht „zielführend“ ansieht, finde ich sie doch sehr gut, weil sie in breiter Mehrheit zeigt, das die Dinge nicht so gut laufen, wie es gerne dargestellt werden wird- und die Kollegen auch nicht bereit sind, das so hin zu nehmen!

    Es scheint wesentlich, das wir als Zahnarztpraxen und vor allem aber auch die Patienten von dieser riesigen iT Aktion profitieren. Zum Beispiel mit so tagtäglichen Dingen wie dem sicheren Austausch von Behandlungsbriefen und Röntgenbildern !

    Es kann doch im Jahr 2018 nicht sein, das es dazu nicht einen Termin in dieser Roadmap gibt, in der das verbindlich (!) geregelt ist?

    Solange es keinerlei Nutzen für die Praxen gibt, kann man jeden Kollegen verstehen, der nicht sofort sein Scheckheft zückt und gut 2000.- Euro für ein für Ihn vollkommen unnützes System ausgeben möchte. Es sind weder die Kosten für die Garantie (bei Hardwareausfall des Konnektors) über die laufenden 5 Jahre geklärt (meist wird nur 6 Monate bis 2 Jahre eingerechnet), noch scheinen die Hersteller der Praxisverwaltungssoftware einbezogen worden zu sein- da diese in vielen Fällen versuchen sich mit Erhöhungen der monatlichen Wartungsgebühren Ihre Kosten für die Implementierung wieder bei den Praxen herein zu holen. Auch hier sollte eine klare Regelung gefunden werden.
    Wenn es klare Nutzen für die Patienten und die Praxen gibt (einschließlich der geprüften Sicherheit), wird sich sicher niemand der Sache verschließen.

Kommentar verfassen