Zahnschmerzen und Schnabeltier

von Frank Sanner

In der Weihnachtszeit und zwischen den Jahren habe ich mir  Zeit genommen, einer Frage nachzugehen, die mich schon lange beschäftigt hat. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass atypische Odontalgien oder neuropathische Schmerzen an den Zähnen häufig an einer schmerzhaften Empfindlichkeit des Zahnfleischsaumes zum Beispiel nach Berührung mit der Parodontalsonde zu erkennen sind. Die Häufigkeit von Zähnen mit nicht- dentogenen Schmerzen liegt zB bei wurzelbehandelten Zähnen mit persistierenden Schmerzen (> 6 Monate) so um die 50% (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20728716) und dieses Zeichen ist – wie gesagt – sehr zuverlässig. Interessant ist dabei auch, dass die starke Empfindlichkeit häufig nur den distalen oder den mesialen Anteil der Zahnfleischfurche betrifft und selten mesial und distal gleichzeitig vorhanden ist.

Was ich also in den Weihnachtsferien herausfinden wollte, ist: Wie wird der Parodontalspalt überhaupt innerviert?

Wie häufig, bin ich dabei erst einmal auf Umwege gekommen. Natürlich beginnt man bei der „Embryognese“ (Vorklinik – Ohje!) und stellt fest, dass es dabei inzwischen neue Aspekte zu verzeichnen gibt. Faharani (1) hat nämlich herausgefunden, dass die Odontoblasten-Schicht viele Merkmale von Sinnesorganen hat. Es gibt hier drei Glia-zell ähnliche Zellsorten, wie sie ähnlich im Gehirn und in anderen Sinnesorganen vorkommen. Man findet auch eine „Blut-Dentin-Schranke“, ähnlich der „Blut-Hirnschranke“. In der Tat ähnelt der Bauplan der Pulpa, dem der Netzhaut und dem des Corti-Organs im Ohr. Herr Faharani kommt auch zu der Vermutung, dass die Zähne ursprünglich einmal aus „sinnesorganartigen“ Elektro-Rezeptoren im Maul von Fischen hervorgegangen sein könnten, die sekundär mit einer Dentin+Schmelzschicht umgeben wurden und dann als Zähne funktionierten. Die Schnabeltiere – immerhin Säugetiere- hätten auch Elektrorezeptoren im Mund bzw. Schnabel. Gut- interessant – bringt einen aber mit dem Schmerzproblem nicht weiter.
Die Nervenfasern, die in die Pulpa ziehen, geben periapikal kleine Äste ab, die im Par-Spalt bis zur Zahnfleischfurche und zur Interdentalpapille ziehen. So steht es in den Büchern (zB. Rateitschak). Falls dieser Nerv erkrankt, oder die mit diesem Nerv verbundenen Hirnareale, können zB „atypische“ Zahnschmerzen entstehen, die dann auch in der Zahnfleischfurche gereizt und ausgelöst werden können. Die Pulpa ist ja nach Wurzelbehandlung meistens weg und die Äste im Par-Spalt die einzigen, die übrig geblieben sind.

Wenn man aber hier nachliest und die Frage klären will, was mit den Zahnnerven nach einer WB passiert (Atrophie, Regeneration und Umleitung in den PAR Spalt?) findet sich fast keine Literatur dazu.

Also bleibt festzuhalten:

1. Die Zahnfleischfurche und deren Schmerzempfindlichkeit ist ein wichtiges Symptom für atypische Odontalgien.

2. Es gibt Hinweise darauf, das die Nervenversorgung von Zahn und PAR-Spalt „very special“ ist.

3. Was mit den Zahnnerven nach einer Wurzelbehandlung und damit deren Amputation genau passiert, ist ziemlich unklar

4. Die Weihnachtsferien sind zu kurz, um dem richtig auf den Grund zu gehen.

Literatur

1. Blueprint of an Ancestral Neurosensory Organ
Revealed in Glial Networks in Human Dental Pulp
Ramin M. Farahani, Mary Simonian, and Neil Hunter
The Journal of Comparative Neurology | Research in Systems Neuroscience 519:3306–3326 (2011)

5 Gedanken zu „Zahnschmerzen und Schnabeltier

  1. „Ups“….kommt die Meldung…………“diesen Artikel gibt es bei uns nicht. Versuch’s doch einmal mit einem Blick ins Archiv…

  2. Hallo Herr Sanner,

    zu 3.: Bakland und Andreasen hatten zumindest für die Behandlung mit CaOH und MTA einen Teil der Frage beantworten können (erschienen in Dental Traumatology, 28, 2012, S. 25-32).

    Ich bewege mich jetzt auf ziemlich dünnem Eis, möchte aber vielleicht doch zu bedenken geben, dass das Auge als Sinnesorgan neuroanatomisch als Teil des Hirns gesehen wird, weswegen der N. opticus auch als „Ausstülpung“ des ZNS angesprochen wird. Sicherlich ist die sensible Versorgung über den Trigeminus schon besonders, aber nicht so „very special“, wie man dass bei den besonders spezialisierten Sinnesrezeptoren in Nase, Auge und Ohr ist.

    Ansonsten würde ich die Umbauvorgänge nach Wurzelbehandlung schon ähnlich wie bei der Entstehung eines Amputationsneuroms ansprechen…

    Trotzdem oder gerade deswegen vielen Dank für die Mitteilung Ihrer Gedanken und vielleicht kommt ja eine kleine Diskussion in Gang, die mehr Licht ins Dunkel bringt.

    VG,

    KT

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